Wenn wir die Pariser Klimaziele einhalten wollen, müssen wir die Erderwärmung – im Vergleich zum vorindustriellen Wert – auf deutlich unter zwei Grad Celsius halten. Am wichtigsten dafür: den weltweiten CO2-Ausstoß zu senken. Man spricht in diesem Zusammenhang viel über das Fliegen, über Plastikmüll, über Fleischkonsum, Kohlekraftwerke und übers Autofahren. Aber wenn wir mal genau hinschauen: Der weltweite Flugverkehr macht nur etwa zwei bis drei Prozent der CO2-Emissionen aus. Ein Thema hat bisher noch nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen: das Bauen und Wohnen. Dabei entstehen hier 38 Prozent der weltweiten Treibhausgase.
Gebäude gehören zu den größten Klimasündern und machen einen großen Anteil am globalen CO2-Ausstoß aus. Eingerechnet ist da einerseits der Betrieb – etwa das Heizen, Warmwasser, Strom und Klimaanlagen – aber auch der Bau.
Hinzu kommt, dass die Baubranche einen extrem hohen Ressourcenverbrauch hat und bisher nur schlecht recycelt: Jedes Jahr werden – alleine in Deutschland – 517 Millionen Tonnen mineralische Rohstoffe verbaut, darunter Kalk, Gipsstein, Kies und Sand. Gleichzeitig entstehen mehr als 200 Millionen Tonnen Abfälle, sowohl beim Bau als auch beim Abriss, also zum Beispiel Bodenaushub oder Bauschutt. Die Bauabfälle machen mehr als die Hälfte des deutschen Müllaufkommens aus.
Dass schlecht gedämmte Gebäude viel Heizenergie benötigen und demnach der Umwelt schaden, ist vielen bekannt. Das ist und bleibt auch ein wichtiger Punkt. Aber der Energieverbrauch von Gebäuden umfasst noch viel mehr: Die sogenannte graue Energie oder Primärenergie beschreibt die Energie, die benötigt wird, um ein Gebäude zu errichten – vom Fundament über die Fenster bis hin zu den Dachziegeln. Bei der Berechnung fließt dann auch die Energie ein, die gebraucht wird, um einzelne Baustoffe herzustellen, der Transport von Menschen, Materialien und Maschinen zur Baustelle oder der Abriss von Gebäuden.
Für die meisten Gebäude wird Beton benötigt. Und Beton gilt als besonders klimaschädlich. Dafür gibt es mehrere Gründe: Einerseits wird für Beton Kies oder Sand benötigt – eine Ressource, die langsam knapp wird. Außerdem enthält Beton auch das Bindemittel Zement. Und allein dieser Bestandteil hat eine sehr schlechte Klimabilanz: Die Zementherstellung in Deutschland verursacht zwei Prozent der gesamten Treibhausgase, weltweit sind es sogar acht Prozent. Der Grund: Um Zement zu gewinnen, wird Kalkstein verbrannt. „Schon dieser chemische Prozess, durch den Zement entsteht, setzt CO2 frei“, erklärt Daniel Fuhrhop, Wohnforscher an der Universität Oldenburg. Dazu kommt dann noch die Energie, die für die Herstellung benötigt wird, „und diese beiden Faktoren zusammen machen das so extrem klimaschädlich.“
Inzwischen gibt es Recyclingbeton. Dafür wird bereits verbauter Beton wieder zerkleinert. Das ist insofern ressourcenschonender, als kein neuer Sand oder Kies verwendet wird, und weil der Abriss nicht auf der Deponie landet. An der CO2-Bilanz selbst ändert das aber nur wenig: Denn um aus dem recycelten Material neuen Beton zu mischen, braucht es wieder das Bindemittel Zement.
Bauen kostet viel Geld. Um Projekte zu realisieren, sind deshalb günstige Materialien oft entscheidend. Die Krux: Baumaterialien, die man im Einkauf günstig bekommt, sind jedoch nicht unbedingt gut für die Umwelt.
Ein Beispiel: Wärmedämmverbundsysteme etwa sollen Häuser besser isolieren. Dadurch lassen sich Heizkosten einsparen und damit auch Emissionen. Dämmen ist ein großer und wichtiger Faktor, um den CO2-Ausstoß von Gebäuden zu verringern. Aber um die Systeme kosteneffizient umzusetzen, wird zur Dämmung oft Styropor genutzt – ein Material, bei dem sowohl die Herstellung als auch das Recycling problematisch sind. „Nachhaltig ist das auf jeden Fall nicht“, sagt Elisabeth Broermann vom Verein Architects for Future.
Nachhaltige Baustoffe sind im Vergleich oft teurer. Je länger ein Haus steht, desto eher zahlen sich solche Investitionen aus. Allerdings erwarten Investoren heute von Gebäuden, dass sie sich viel schneller rentieren. „Die Wirtschaftlichkeitszyklen sind immer kürzer geworden“, erklärt Ragnhild Klußmann, Architektin in Köln und Mitglied beim Bund Deutscher Architekten. „Hat man früher ein Gebäude über 30 Jahre betrachtet, sagt jeder Investor heute, dass es sich nach sieben bis zehn Jahren schon amortisiert haben soll.“ Bei dem hohen wirtschaftlichen Druck sei es schwierig, nachhaltig, langfristig und qualitativ hochwertig zu bauen – ohne dabei viel teurer zu werden.
Oft werden bestehende Gebäude abgerissen, um auf demselben Grundstück ein neues Haus zu errichten. Dabei ist der Ressourcen- und Energieverbrauch – wenn man die graue Energie berücksichtigt – sehr viel höher, als wenn man zum Beispiel ein Gebäude entkernt und dann umbaut. Architektin Klußmann beobachtet, dass sich immer noch viele Menschen eher für Abriss und Neubau entscheiden: Sie erwarten, mit einem neuen Haus weniger Arbeit zu haben als mit einem renovierungsbedürftigen alten. „Aber wenn ich den Rohbau erhalte und den Rest des Hauses erneuere, dann steht da ja im Endeffekt ein neues Haus.“
Inzwischen gibt es viele Häusertypen, deren Namen danach klingen, als wären sie die Lösung des Problems: Niedrigenergiehäuser etwa sind so gut gedämmt, dass sie wenig Energie zum Heizen brauchen. Beim Passivhaus ist der Energieverbrauch noch geringer, weil „passive“ Energie, wie etwa Sonneneinstrahlung oder Abwärme genutzt werden. Wenn diese Häuser jedoch neu gebaut werden, dann verursachen sie Probleme, wie jeder andere Neubau auch: Sie sind verantwortlich für Flächenfraß. Durch neue Häuser, neue Wohn- oder Gewerbegebiete verschwinden Flächen – manchmal ein Stück Wald oder eine Wiese. Gleichzeitig benötigen auch Niedrig- oder Passivhäuser Baustoffe, die irgendwo abgebaut, verarbeitet und zur Baustelle transportiert werden müssen – also wieder auf graue Energie einzahlen.
Der Wohnforscher Daniel Fuhrhop weist darauf hin, dass neue Wohngebiete oft noch ein weiteres Problem mit sich bringen: Befinden sie sich am Ortsrand, werden die Wege zum Einkaufen und zur Arbeit oft länger – sodass die Bewohnerinnen und Bewohner häufiger mit dem Auto fahren.
Im September 2020 hat Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, eine Grundsatzrede gehalten und darin auch über die Baubranche gesprochen: „Unsere Gebäude verursachen 40 Prozent unserer Emissionen. Sie müssen weniger verschwenderisch, weniger teuer und nachhaltiger werden.“ Von der Leyen fordert, den Wandel in der Baubranche als europäisches und vor allem auch als kulturelles Projekt zu verstehen. Sie spricht in der Rede auch von einem „neuen europäischen Bauhaus“. Was genau damit gemeint ist, bleibt offen, aber immerhin zeigt sie mit dieser Rede, dass das Problem auf EU-Ebene bekannt ist, und dass Handlungsbedarf besteht.
Auch Mitglieder vom Bund Deutscher Architekten, diejenigen also, die ihr Geld mit dem Bauen neuer Häuser verdienen, positionieren sich. In einem Diskussionspapier von 2019 präsentieren sie Punkte, die sich ändern müssen, um eine klimagerechte Architektur zu schaffen. Die Architektinnen und Architekten fordern, mehr mit dem zu arbeiten, was bereits gebaut wurde – also mit dem Bestand. Außerdem sollten nachhaltige Materialien, wie etwa Stein, Holz und Lehm, wieder größere Beachtung bekommen und andere energieintensive Baustoffe, wie etwa Beton, ersetzen. Idealerweise sollten die zum Bauen verwendeten Materialien vollständig abbaubar und recycelbar sein.
Eine Möglichkeit dafür wäre Urban Mining. Damit ist gemeint, dass Rohstoffe aus bereits bestehenden Gebäuden wieder verwertet werden. Beispielsweise könnten die Steine eines alten Hauses für den Bau eines neuen dienen. Findet das Ganze an Ort und Stelle statt, ist das nicht nur ressourcenschonender, sondern auch Transportwege fallen weg.
Um die vielen Ideen und Ansätze für klimafreundlicheres Bauen umzusetzen, ist allerdings die Politik gefragt. Diese Meinung vertreten auch die Architects for Future, ein Verein, der sich für das nachhaltige Bauen einsetzt. Die Architects for Future sind der Meinung: Ohne Bauwende gibt es keine Klimawende. Im November 2020 starteten die Mitglieder eine Petition. Mehr als 50.000 Menschen hatten Anfang Januar die Petition unterzeichnet.
Die Architects for Future stellen konkrete Forderungen an die Politik, denn viele Ansätze für klimafreundliche Architektur lassen sich nur mithilfe von Gesetzesänderungen, neuen Gesetzen oder gezielten Förderprogrammen umsetzen. Sie sagen: „Nachhaltiges Bauen muss raus aus der nice-to-have Ökonische.“
In der Petition wird zum Beispiel gefordert, dass der gesamte Ressourcenaufwand von Gebäuden – inklusive der grauen Energie und aller Betriebskosten – standardmäßig festgehalten und berücksichtigt wird und dass der Abriss von Gebäuden nur noch dann erlaubt wird, wenn er wirklich notwendig ist.
Auch das Umbauen von Gebäuden wird in der Petition erwähnt: Denn bisher ist das oft mit Hürden verbunden, sagt Elisabeth Broermann, eine Sprecherin der Architects for Future: „Im Prinzip werden da die Bauregeln vom Neubau angesetzt.“ Gerade in alten Gebäuden hat das zur Folge, dass Umbauten und Sanierungen sehr schwierig bis unmöglich werden, etwa wenn das Treppenhaus fünf Zentimeter zu schmal ist für die zugelassene Brandschutzregelung. Neue Regeln für Gebäudesanierungen könnten das vereinfachen.
Insgesamt findet der Verein, dass das nachhaltige Bauen viel mehr Beachtung finden muss, und zwar bereits in der Ausbildung – in den Lehrplänen für angehende Handwerkerinnen, Ingenieure und Architektinnen.
Ein Blick auf die demografische Entwicklung in Deutschland zeigt, dass wir in einem Land leben, in dem die Bevölkerung eher schrumpft. Und in dem es im Jahr 2060 voraussichtlich mehr ältere als jüngere Menschen gibt. Was heißt das für unseren Wohnraum? In der Debatte um die Bauwende fällt immer mal wieder der Satz „Deutschland ist bereits gebaut“. Es stellt sich die Frage: Wie viel neuen Wohnraum brauchen wir wirklich?
Neben einem Umdenken in Bezug auf Abriss und Neubau könnten auch neue Wohnkonzepte einen Beitrag zur Bauwende leisten. Der Wohnforscher Daniel Fuhrhop von der Universität Oldenburg beschäftigt sich damit, wie wir existierenden Wohnraum besser nutzen könnten. Möglichkeiten gibt es viele. Ein Beispiel sind Wohnungstauschbörsen. Sie könnten dabei helfen, dass Menschen, die allein in großen Wohnungen leben, kleinere Apartments finden. Weil es häufig ältere Menschen sind, die alleine in einem Haus oder in einer großen Wohnung leben, könnte auch geförderte Hilfe bei Umzügen einen Beitrag leisten, um diesen Wohnraum „zu erschließen“.
Ein weiteres Beispiel ist das bundesweite Projekt „Wohnen für Hilfe“. Die Idee ist, dass ältere Menschen mit großen Wohnungen oft Hilfe benötigen – im Haushalt, beim Einkaufen, im Garten. Die Idee: Sie vermieten Wohnraum für wenig oder gar kein Geld an Studierende oder Auszubildende, die die Älteren als Gegenleistung im Alltag unterstützen. Viele Studierendenwerke fördern inzwischen solche Modelle.
Anfang März 2021 haben Elisabeth Broermann und Michael Wicke von den Architects for Future ihre Petition im Bundestag vorgestellt und Fragen von Politikern und Politikerinnen aller Parteien dazu beantwortet. Auch der Bauausschuss hat das Thema Bauwende auf dem Schirm. Ob und wann sich Ergebnisse zeigen – das ist im Moment jedoch noch nicht abzusehen.
Was können wir so lange tun? Nicht jede und jeder baut in seinem Leben ein Haus. Das ist vermutlich auch einer der Gründe, warum das Thema bisher noch nicht so groß beachtet wurde. Aber wir können uns natürlich trotzdem fragen: Wie viel Wohnraum brauchen wir eigentlich zum Leben? Haben wir nicht vielleicht doch noch ein Zimmer frei, das wir vermieten können? Ließe sich das Haus, in dem man zu zweit lebt, eventuell so umbauen, dass am Ende noch eine weitere Wohnung entsteht?
Wenn wir umbauen oder renovieren, könnten wir darüber nachdenken, wie wir das möglichst nachhaltig und mit recycelbaren Materialien umsetzen. Und vielleicht lohnt sich ja auch ein Gespräch mit den Eltern oder Großeltern, um sie davon zu überzeugen, dass sie auch mit deutlich weniger Wohnraum auskommen können.